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"Blumig, erdig, im Abgang waldig": Kleines sensorisches Wein-Wörterbuch frei nach Axel Hacke

von weinnase
07. Dezember 2011

Die meisten Experten, oder solche, die dafür gehalten werden wollen, bedienen sich einer eigenen Sprache, um ihresgleichen ihre Kompetenz zu demonstrieren und Außenstehende zu beeindrucken oder einzuschüchtern, je nach Anlass. Das gilt auch für Weinfans. Vor blumigen Adjektiven nur so strotzende Verkostungsnotizen gibt es auch im Internet zuhauf, ich habe mich hier bei Gelegenheit ja auch schon darüber lustig gemacht. Ein Meister im Sichlustigmachen ist Axel Hacke, unter anderem Kolumnist der Süddeutschen und Autor des "kleinen Handbuchs des Verhörens" Der weiße Neger Wumbaba. Seine grandiose Glosse "Wein oder nicht Wein" bringt die Sache auf den Punkt. Vor dem Weiterlesen möge sich jeder die fünf Minuten Genuss gönnen und sie sich anhören (bitte dazu auf das Bild klicken). Im Artikel versuche ich dann anschließend, einigen der verwendeten Wein-Adjektive etwas auf den Zahn zu fühlen.

Über Wein zu reden ist extrem schwierig, da die Gehirnzonen, die Geruch und Geschmack interpretieren, im Stammhirn liegen und entwicklungshistorisch Jahrhunderttausende vor dem Sprachzentrum entstanden sind. Beide Regionen haben es bis heute nicht geschafft, auf eindeutige Weise miteinander zu kommunizieren, insbesondere schaffen wir es nicht, uns Gerüche oder Geschmäcker konkret in Erinnerung zu rufen, so wie dies mit Bildern oder Klängen problemlos möglich ist. Wer es trotzdem versucht, kann sich nur eines assoziativen Wortschatzes bedienen.

Das Schöne an Assoziationen ist, dass jeder seine eigenen - und oftmals ganz andere - hat. Somit kann man, wenn man über Wein spricht, eigentlich nichts falsch machen. Zumindest widerspricht einem niemand, wenn man dies mit einem wichtigen Gesichtsausdruck und entsprechend distinguierter Theatralik tut, und man wird bei der nächsten Tischgesellschaft garantiert gebeten, den Wein auszusuchen.

Das Bonmot "blumig, erdig, im Abgang waldig" hat Axel Hacke übrigens nicht verwendet. Ich habe es gewählt, weil ich es mal in einer Kabarett-Sendung aufgeschnappt hatte, ohne mir weiter etwas dabei zu denken. Bei der Recherche ist mir dann aufgefallen, dass exakt mit diesen Worten nicht nur Wein, sondern wahlweise auch Schokolade, Scotch Whisky, Zigarren und Obstbrand beschrieben werden. Das sagt eigentlich alles. Aber solange man keine Geruchs- oder Geschmackseindrücke digitalisieren und per Internet übertragen kann, müssen wir wohl damit leben.

Kleines sensorisches Wörterbuch Wein-Deutsch/Deutsch-Wein

Die meisten der folgenden Adjektive und Geschmacksassoziationen verwendet Axel Hacke tatsächlich in seiner Glosse, sie beziehen sich deshalb vor allem auf Rotweine. Ich habe sie noch um ein paar sehr populäre ergänzt. Vielleicht mache ich noch mal eine Weißwein-Version.

  • würzig: so werden meistens Rotweine bezeichnet, die Assoziationen mit pikanten Gewürzen wie Pfeffer oder Paprika hervorrufen. Findet man z. B. bei Südfranzosen aus der Grenache- oder Syrah-Rebe oder bei chilenischen Cabernets oder Carmeneres.
  • wuchtig: Ein "wuchtiger" Wein hat meistens einen hohen Alkoholgehalt jenseits von 13 Vol.-%, der empfindlichen Verkostern schnell zu Kopf steigt, und ein hohes Aromenkonzentrat. Typische Vertreter: Châteauneuf-du-Pape oder spanische Reservas.
  • konzentriert: Intensiver Geschmack, nicht sortenspezifisch. Oft anzutreffen bei Weinen, deren Winzer eine rigorose Ertragsbegrenzung (unter 40 hl/Hektar) betreiben. Das Gegenteil dazu wäre der Schoppenwein.
  • stählern: Eine auf den ersten Blick eher lustig klingende Assoziation. Wer aber mal einen tanninbetonten Wein wie einen Chianti Classico (nicht das neumodisch auf Barrique getrimmte Zeug) oder auch einen kräftigen Bordeaux mit hohem Cabernet-Anteil probiert und das darin oft enthaltene Bittermandel-Aroma erlebt hat, könnte wirklich meinen, ein Stück Eisen abzulecken.
  • fruchtig: Fruchtig sollte eigentlich jeder Wein sein. Meist ist damit aber das jugendliche Aroma eines jungen Weines gemeint, der nicht für die Lagerung ausgebaut ist und dessen reduzierter Säurepegel das Fruchtaroma in den Vordergrund treten lässt. Interessanterweise ist bei Rotweinen meist von roten Früchten, bei Weißweinen von gelben Früchten die Rede. Prototyp eines fruchtigen Rotweins ist für mich immer noch der Spätburgunder mit seinen Pflaumenaromen und natürlich der fast immer nach Cassis (s. u.) schmeckende Cabernet.
  • blumig, duftig: Damit ist meist gemeint, dass der Wein ein intensives, süßliches Bouquet (eine Blume) hat und eben stark duftet, nach was auch immer. Wer es vornehmer ausdrücken will, spricht von "floralen" Noten. Ein sehr blumiges Bouquet haben z. B. der Muskateller oder der Viognier.
  • kirschig: In der Tat gibt es portugiesische Rotweine, deren Aroma stark an das von Kirschen erinnert. Das dürfte an der nur in Portugal angebauten Rebe Touriga Nacional liegen, der man ein solches Aroma nachsagt. Auch italienische Weine der Rebsorte Primitivo aus Apulien oder österreichische Zweigelt erinnern oft stark an Kirschsaft.
  • mineralig: Auch "mineralisch" oder "erdig". Ein Attribut eher für Fortgeschrittene. Gelegentlich wird behauptet, man könne bei einem Wein das "Terroir" herausschmecken, damit sind vor allem die Böden gemeint, auf denen die Reben gewachsen sind. Wird vor allem bei Weißweinen wie Riesling verwendet. Mir ist es bisher bei Rotwein einmal bei einem Blauen Zweigelt vom Kapfensteiner Kogel aufgefallen.
  • muskulös: Hier wird’s dann schon leicht kitschig bis albern, schließlich geht es hier nicht um Muskelfleisch. Gemeint ist meistens ein körperreicher Wein mit einem dominanten Tanninspiegel (s. u.).
  • holzig: Wenn ein Wein holzig schmeckt, heißt das meistens, der Winzer wollte unbedingt auf dem Barrique-Trend surfen und Parker-Punkte abstauben, hat darin aber zu wenig Übung. Man spricht hier gern auch von "Biberwein". Eine Barriquenote hat gefälligst nicht hervorzuschmecken, sondern gut eingebunden zu sein. So!
  • vanillig: Schmeckt ein Wein vanillig, sind meist Hopfen und Malz verloren, denn dann hat der ungeübte Kellermeister sogar neue Barriques verwendet. Meistens schade ums Geld. Das Schlimme ist, dass mittlerweile selbst früher filigrane Toskaner und deutsche Spätburgunder oft so daherkommen.
  • rauchig: Schon eher ein Qualitätskriterium. Raucharomen stammen meist von getoasteten Barriques und sollten den Weingeschmack abrunden, statt ihn zu dominieren. Sind dann noch Röst- bzw. Karamellnoten dabei, weiß man, dass der Winzer nicht nur abkupfert, sondern sein Handwerk wirklich beherrscht.
  • animalisch: Eine solche Beschreibung geht dann schon leicht ins Transzendentale. Gemeint sind meist Weine mit einem intensiven Bouquet mit Moschusnoten. Das gibt es wirklich bei manchen Bordeaux und ist mir sogar schon bei einem deutschen Lemberger begegnet. Oft sind dabei alte Barriques im Spiel, die mit der Zeit ganz spezielle ätherische Öle an den Wein abgeben.
  • korkig: Das ist streng genommen keine Geschmacksnote, sondern eine Bezeichnung für einen verdorbenen Wein. Korkgeschmack entsteht, wenn ein Korken zu viel des Phenolderivats Trichloranisol enthält, was leider immer wieder vorkommt. Ein Korkton hat auch für ungeübte Weintrinker einen hohen Wiedererkennungswert. Einen solchen Wein kann man leider nur noch wegkippen.
  • Banane: Von Axel Hacke eher scherzhaft verwendet, aber tatsächlich gibt es einen sehr populären Rotwein, der, wenn er gut ist, ein Aroma von reifen Bananen besitzt, und das ist der Beaujolais.
  • Tannin: Als Tannine bezeichnet man die in Rotweintrauben enthaltenen Gerbstoffe, die einem Rotwein seinen adstringierenden Charakter verleihen. Tannine werden im Verlauf des Reifeprozesses in einer komplexen chemischen Reaktion umgewandelt, weshalb der Tanningehalt mit der Reifezeit geringer wird. Tannine sind nicht zu verwechseln mit dem Säuregehalt eines Weines, obwohl auch letztere adstringierend wirkt.
  • Tabak: Von seiner Aromenkomplexität her ist Tabak mit Wein gut vergleichbar, von daher ist diese Assoziation naheliegend. Takak- und oft auch Schokoladenaromen trifft man häufig bei körperreichen Rotweinen an, die im Barrique gereift sind, also z. B spanischen Reservas oder südfranzösischen, chilenischen oder australischen Syrahs/Shiraz. Es muss wohl diese Kombination von Kräutern, Rauch, Holz und Fruchtaromen sein, die man ja auch in jedem guten Tabak finden möchte, welche diese Assoziation anregt.
  • Johannisbeere: Zumeist wird die Variante Schwarze Johannisbeere (franz. Cassis) assoziiert, die ein typisches Aromenmerkmal der Cabernet Sauvignon-Rebe ist. Siehe "fruchtig". Das Aroma roter Johannisbeeren findet man sehr oft in Rosés.
  • Kräuter: Es dürfte kein Zufall sein, dass vor allem provenzialische Rotweine, die in der Nähe von Rosmarin- und Lavendelfeldern gedeihen, oft eine ausgeprägte Kräuternote haben. Das provenzialische Terroir wird halt reich an ätherischen Ölen sein, dem kann sich der Wein kaum entziehen.
  • Textur, Statur: Textur heißt ja eigentlich Gewebe oder Oberfläche und soll meist den Sinneseindruck an Zunge und Gaumen zusammenfassend beschreiben. Daher auch oft klassifizierend verwendet wie "stämmige Textur" für kräftige oder "filigrane Statur" für leichte Weine. Klingt halt einfach besser.
  • Nachhall, Abgang: Alles hat ein Ende, auch der Schluck Wein, wenn er mal heruntergeschluckt ("abgegangen") ist. Deshalb freut man sich besonders, wenn die Sinneseindrücke in der Mundhöhle danach noch anhalten ("nachhallen"). Gilt gemeinhin als Qualitätskriterium, je intensiver nach Nachhall, desto besser der Wein.

Diese Liste ist natürlich nicht vollständig. Wer noch weitere Anregungen hat, darf sie gern in den Kommentaren erfassen.

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